Es war ruhig geworden um Fernsehkritik, ja um Kritik generell in den letzten Jahren in den Medien. Die Durchsetzung des ökonomischen Denkmodells in Zusammenarbeit mit der Konzentration im Medienbereich und der übernahme von Lobbyisteninteressen in sog. Rundfunkräten haben dafür gesorgt. Der letzte mir bekannte Versuch geht auf Bernward Wember und seine bekannten Arbeiten zu "Wie informiert das Fernsehen?", "Bergarbeiter in Bolivien?" und das finale "Vergiftet oder Arbeitslos". Da ich in meiner Diplomarbeit zur Inhaltsanalysen von Filmen damals auch Wembers Ansatz verwendet hatte bin ich sozusagen ein wenig sensitiv dafür. Zur Erinnerung: Wember stellt fest dass der Informationsgehalt von Nachrichtensendungen durch sinnlose optische Reize, auseinanderklaffen von Bild und Ton und anderen Mechanismen einer fragwürdigen "Spannungsästhetik" extrem verringert wird. Ebenso wie die Erinnerung an das Gezeigte oder Gesagte.
In den Jahren danach habe ich nur noch wenige Beobachtungen gemacht. Lustig waren die ersten Schritte der Privaten das "Infotainment" zu etablieren: Sie saßen dubiosen Produzenten ihrer "exklusiv, extrem, brisant, etc." genannten nachrichtenmässig verpackten Schauspielen auf. Die "Unwahrheit" in Form von Schauspielern statt echten Opfern oder Tätern kam ans Licht. Anfängerfehler di e heute nicht mehr passieren.
Traurig eher der Reiz den die weichgespülten Farben der Privaten auf die abendlich ermüdeten Frauen auswirken.
Bemerkenswert die sittliche Reife der Medienmogule (Berlusconi, Kirch, Murdoch, Turner) und die nahtlose übereinstimmung von Politik und Medien wie im Falle von Sarkozy.
Umso überraschter war ich daher als ich unlängst auf Walter van Rossum und sein Buch "Tagesshow - wie man in 15 Minuten die Welt unverständlich macht" gestossen bin. (Ich hab mir gleich auch sein Buch "Schwarzbuch Deutschland - Die Informationen die nicht in den Medien stehen) gekauft das er zusammen mit Gabriele Gillen geschrieben hat. Aber das muss ich erst noch fertig lesen. "Tagesshow hingegen habe ich auf eine Ruck gelesen mich köstlich amüsiert.
Van Rossum erklärt warum trotz täglicher Tagesschau und Tagesthemen, den Hochämtern der objektiven Weltvermittlung genau diese letztlich unverständlich bleibt. Erreicht wird dies durch die Art und Weise wie die Tagesschau mit realität umgeht und sie darstellt. Ich habe versucht die dabei verwendeten Pattern (auf deutsch Lösungsmuster) zu extrahieren.
Es gibt ja keinen Mangel an wirtschaftlichen "Events" in der Tagesschau. Sie werden jedoch immer aus betriebswirtschaftlicher Sicht geschildert: ein Unternehmen muss Leute entlassen. Volkswirtschaftliche Zusammenhänge wie Globalisierung werden nur in ihrer konkreten, atomisierten Auswirkung "abgefilmt". Das Abfilmen ist ein Meta-Pattern das ich gleich behandle. Durch die Beschränkung auf den einzelnen betriebswirtschaftlichen Event wird die globale ökonomische Katastrophe (vor allem in der dritten Welt) zum lokalen Ausrutscher und damit unerklärlich.
Berichterstattung zu politischen Themen findet in der Form der personalisierten Aussage von Politikern, meist über andere Politiker statt. Es gibt nichts was "hinter" Politikern steht: Lobbyismus, Kapitalinteressen etc. So gesehen funktioniert die Tagesschau wie "Frau im Spiegel" nur mit anderen Darstellern und verhindert jegliche systematische Begründung von Politik.
Die Tagesschau fühlt sich zur Objektivität verpflichtet und hat ein sicheres Mittel gefunden sich dabei eine Probleme mit der Leitung einzuhandeln. Sie definiert Objektivität als die abfilmbare Realität. Das ist in mehrfacher Hinsicht perfide. Es schliesst alles aus der Objektivität aus das nicht "abfilmbar" ist. Objektivität wissen wir entsteht als Diskursfähige Theorie über Beobachtungssätze. Blosses Beobachten - und das ist das Abfilmen von "Realitätsereignissen" ist gar nichts. Keine Nachricht, keine Objektivität. Nur Datenmüll.
Van Rossum erklärt auch den zweiten perfiden Effekt: durch das blosse Abfilmen von Realität wird nicht nur extrem selektiert, die Ereignisse selbst bekommen auch den Charakter der Selbstverständlichkeit, werden in ihrer "Richtigkeit" quasi noch bestätigt: Die Welt ist halt so, nutzlos über ander mögliche Welten nachzudenken.
Der Effekt kann noch gesteigert werden durch die dramaturgisch richtige Auswahl der Ereignisse.
Besonders problematisch wird das Abfilmen dann wenn die Realität bewusst "gemacht" ist, d.h. in den Formen der politischen Selbstdarstellungen und Inszenierungen. Van Rossum diskutiert dies am Beispiel der sog. Baker-Kommision die damals die Situation der amerkikanischen Besatzungsmacht im Irak untersuchte sowie die Wege aus der "Krise". Durch das konsequente, kitiklose Abfilmen der scheinbar zusammenhanglosen politischen Inszenierungen wird nur die so wahrgenommene "Realität" in ihrem Wahrheitsgehalt zementiert und es entsteht innerhalb der Redaktion wie auch beim Zuschauer eine bestimmte Wahrnehmungsweise der Welt - in diesem Fall grundsätzlich aus der amerikanischen Perspektive.
Van Rossum wie vor ihm auch Wember haben gezeigt dass sowohl die Art der Darbringung von Nachrichten als auch ihr Inhalt deutlich anders und besser sein könnten. Beide widerlegen die Behauptung der Nachrichtenmacher dass in der Kürze der Zeit keine Möglichkeit der Erklärung besteht: Selbst die kurze Tagesschau enthält wesentliche Teile die keinen wichtigen Beitrag zur Wahrnehmung der Welt leisten (Wembers bekanntes Beispiel der "laufenden Stiefel", van Rossums Beispiele für die Auswahl unwichtiger oder trivialer Meldungen.)
van Rossum halt selbst eine Zeit lang die Macher der Tagesshows beobachtet und erklärt dass Medienkritische Dinge sofort die Aufmerksamkeit der höchsten Gremien erhalten bzw. genehmigt werden müssen. So sind die Tagesshows fest im Griff einer fragwürdigen Produktionsästhetik die letztlich das Ergebnis politischen Drucks von oben ist.